Freundeskreis Römerkanal e.V.
Vermessungsmethoden beim Bau von Fernwasserleitungen
Im Rahmen seiner Beschreibung der „Anlage einer Wasserleitung“ stellt der römische Fachschriftsteller Vitruv im 1. Jahrh. v. Chr. ein einfaches Gerät zum Nivellieren – also der Vermessung des Höhenunterschiedes zwischen zwei Punkten – vor:
„Die erste Arbeit ist das Nivellieren. Nivelliert aber wird mit dem Diopter oder der Wasserwaage oder dem Chorobat, aber ein genaueres Ergebnis erreicht man mit dem Chorobat, weil Diopter und Wasserwaage täuschen. Der Chorobat aber besteht aus einem etwa 20 Fuß (1 röm. Fuß = 0,296 m) langen Richtscheit. Dieses hat an den äußersten Enden ganz gleichmäßig gefertigte Schenkel, die an den Enden (des Richtscheits) nach dem Winkelmaß (im Winkel von 90 Grad) eingefügt sind, und zwischen dem Richtscheit und den Schenkeln durch Einzapfung festgemachte schräge Streben. Diese Streben haben genau lotrecht aufgezeichnete Linien, und jeder einzelnen dieser Linien entsprechend hängen Bleilote von dem Richtscheit herab, die, wenn das Richtscheit aufgestellt ist und alle Bleilote ganz gleichmäßig die eingezeichneten Linien berühren, die waagerechte Lage anzeigen.
2. Wenn aber der Wind störend einwirkt und durch die so hervorgerufenen Bewegungen der Bleilote die Linien keine zuverlässige Anzeige mehr bieten können, dann soll das Richtscheit am obersten Teil eine Rinne von 5 Fuß Länge, einem Zoll Breite und 1 ½ Zoll Tiefe haben, und dort hinein soll man Wasser gießen. Wenn nun das Wasser in genau gleicher Höhe die obersten Ränder der Rinne berührt, dann wird man wissen, dass die Länge waagerecht ist. Ebenso wird man, wenn mit diesem Chorobates so nivelliert ist, wissen, wie groß das Gefälle ist.“
Zeichnungen des Vitruv zum Chorobates sind nicht erhalten, ebenso wenig ist beschrieben, wie denn dieses Gerät gehandhabt worden ist. Seit der Renaissancezeit bemüht sich die Wissenschaft um eine funktionsgerechte Rekonstruktion des Chorobates. Aber schon Leonardo da Vinci weicht von der Vitruv-Beschreibung ab und zeigt uns ein gänzlich anderes Gerät. Auch nach Leonardo werden uns statt nachvollziehbarer Vitruv-Rekonstruktionen eigentlich immer nur Chorobates-Neuerfindungen vorgelegt. Das geht – von wenigen Ausnahmen abgesehen – bis in unsere heutige Zeit.
Folgt man aber der Beschreibung Vitruvs wortgetreu, so entsteht ein Nivelliergerät, das in seiner Einfachheit von geradezu bestechender Genialität ist. Nun wird mittels dieses Gerätes nicht mehr visiert, sondern die Höhenunterschiede werden am Gerät selbst gemessen. Die 6 m lange Riesenwasserwaage wird wie ein Stechzirkel von Punkt zu Punkt über die zu nivellierende Strecke bewegt, wobei die Auswirkungen der Erdkrümmung selbsttätig eliminiert werden. Zudem werden durch stetiges Wenden des Gerätes bei jedem zweiten Messgang sämtliche Gerätefehler sowie die Auswirkungen der Erdkrümmung eliminiert. Eine bestimmte Messanordnung schließt darüber hinaus sogar die Schreib- und Rechenfehler aus und macht Kontrollmessungen weitgehend überflüssig. Ganz nebenbei wird gleichzeitig mit dem Nivellement die Streckenlänge der späteren Aquädukttrasse ermittelt.
Da sowohl der Höhenunterschied als auch die exakte Streckenlänge genau die Parameter sind, die zur Errechnung des Gefälles zwischen zwei durch eine Wasserleitung zu verbindenden Punkten sind, stand den römischen Vermessungsingenieuren mit dem Chorobates ein genial einfaches Nivelliergerät zur Verfügung.
Chorobates
Chorobat-Rekonstruktion nach Poleni/Stratico (1825). Zielvorrichtungen sind nicht vorhanden - die Höhen wurden mit den Füßen des Gerätes "abgegriffen".
Beim Wenden des Chorobates bei jedem zweiten Messgang wurden sämtliche Gerätefehler eliminiert. Auch die Erdkrümmung wurde ausgeglichen
Das Austafeln
Wir müssen unterscheiden zwischen der Höhenvermessung mit dem → Chorobates für die Planung der Trasse und die Absteckung der Brücken und der Baulosgrenzen einerseits und der Gefälleabsteckung mittels Austafelns. Die Ergebnisse der Vermessung wurden durch zwei wichtige Parameter beeinflusst, denn bei der Höhenvermessung mit dem Chorobates wurde die Erdkrümmung eliminiert, beim Austafeln wurde die Erdkrümmung nicht eliminiert.
Das Austafeln war noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts eine gängige Methode der Gefälleabsteckung im Kanalbau. Man benötigte hierzu am Beginn des abzusteckenden Gefälleabschnitts ein Nivelliergerät (in der Antike der Chorobates), um den Höhenunterschied für das gewünschte Gefälle festzulegen. Dieses Gefälle wurde in zwei Festpunkten vermarkt.
Im weiteren Verlauf der Trassenabsteckung benötigte man dann lediglich drei T-förmige Zieltafeln. Zwei dieser Tafeln stellte man auf den zuvor abgesteckten Festpunkten auf – auf diese Weise wurde die Gefällelinie aus Bodenhöhe in Augenhöhe parallel verschoben. Nun stellte man sich mit der dritten Zieltafel in kurzer Entfernung (± 30 m) auf und verlängerte die Gefällelinie optisch, indem man die Oberkanten aller drei Zieltafeln durch Peilung auf einer Linie einrichtete. Der neu gefundene Punkt wurde wie die beiden ersten vermarkt. Man nahm nun die erste Zieltafel und verlängerte die Gefällelinie um einen weiteren Abschnitt. So fuhr man fort bis zum Ende des Bauloses oder eines Gefälleabschnitts.
Für die Absteckung längerer Trassenabschnitte hatte diese Methode allerdings einen gravierenden Nachteil, denn beim Austafeln wurde die Erdkrümmung nicht eliminiert.
Beim Austafeln wurde die Erdkrümmung nicht ausgeglichen. Deshalb kam es zu Höhenversprüngen im Anschluss der Baulose.
Wir wissen, dass die Baumeister ihre Gefällelinien zwar mit schier unglaublicher Präzision abstecken konnten – wir wissen aber auch, dass sie die verfahrensbedingten Auswirkungen der Erdkrümmung nicht eliminiert haben. Man zog also das einfache, aber mit einem vorhersehbaren „Fehler“ behaftete Verfahren des Austafelns, dem schwierigeren Nivellement, bei dem sich die Auswirkungen der Erdkrümmung eliminiert hätten, vor. Damit gab man aber einem Verfahren den Vorzug, bei dem sich die Abweichungen von der geplanten Gefällelinie überschaubar und nur nach oben gewandt auswirkten, während sich beim Nivellement noch Geräte-, Ablese-, Schreib- und Rechenfehler einstellen konnten, deren Auswirkungen auch von der Richtung her unvorhersehbar und dabei viel gravierender hätten sein können.
Das Verfahren des Austafelns mutet nicht nur einfach an – es ist es auch. Es hatte deshalb den Vorteil, von gut ausgebildeten Hilfskräften durchgeführt werden zu können. In der Praxis war also die Anwesenheit des Ingenieurs auf der Baustelle nur für die grundlegenden Arbeiten zur Festlegung des Gefälles mit dem Chorobates erforderlich, die weitere Arbeit der Gefälleabsteckung konnte dann von Hilfskräften vorgenommen werden. Das sollte aber über eines nicht hinwegtäuschen: In der sorgsamen und fachmännischen Durchführung des Austafelns sind die unglaublich präzisen Ergebnisse der römischen Gefälleabsteckung begründet.
Quelle: K. Grewe, Meisterwerke antiker Technik (Mainz 2010).
Baudaten zur römischen Eifelwasserleitung ,,Römerkanal”